St. Pauli feiert – Denkzettel für den HSV
Der FC St. Pauli mag nicht der unmittelbare Konkurrent sein, den es für den Hamburger SV zu schlagen gilt, wenn es um die Rückkehr in die Fußball-Bundesliga geht. Mit seinem historischen 2:0-Sieg Im Hamburger Stadtderby hat der "kleine Nachbar" aber eindrucksvoll zur Schau gestellt, wie leicht die "Rothosen" die Mission Bundesliga-Aufstieg erneut in Gefahr bringen könnten, wenn sich ein Stolperstein an den anderen reiht.
Hunt: "Wir haben kein Derby gespielt"
Das Bemerkenswerteste am Auftritt des Hamburger SV im Millerntorstadion war der Umgang mit der überraschenden ersten Niederlage der Saison. Während die St.-Pauli-Fans mit ihren Spielern den ersten Heimsieg gegen den Stadtrivalen seit 1960 mit "Derbysieger, Derbysieger"-Rufen und "Die Nummer eins der Stadt sind wir"-Gesängen feierten, hegte HSV-Trainer Dieter Hecking bereits Zweifel, ob seinem Team selbst bei einem kompletten Ausschöpfen der Nachspielzeit - Schiedsrichter Sven Jablonski hatte angesichts einer Pyroshow kurz vor dem Ende etwas früher abgepfiffen - an diesem Abend noch ein Tor gelungen wäre. "Wir haben kein Derby gespielt“, zog HSV-Kapitän Aaron Hunt nüchtern Bilanz. "Aufgrund der ersten Halbzeit haben wir nicht unverdient verloren." Das sah auch die enttäuschte Clublegende Uwe Seeler auf der Tribüne so: "Wenn man ein Derby auf St. Pauli hat, weiß man, dass es gleich zur Sache geht. Und da muss man auf dem Platz stehen und topfit sein und dagegenhalten."
Der Tag nach dem Derby: Trainerstimmen
17.09.2019 13:56 Uhr
Nach dem Derbysieg des FC St. Pauli gegen den HSV waren die Gefühlswelten bei den Trainern Jos Luhukay und Dieter Hecking unterschiedlich.
St. Pauli hat es mehr gewollt
Und genau das war das große Plus der Hausherren. Die St.-Pauli-Spieler, mit fünf Punkten aus fünf Spielen bis zum Derby eher verhalten gestartet, wirkten vom Anpfiff weg wie besessen von dem Wunsch, die derbe 0:4-Pleite vom März vergessen zu machen. Sie wirkten frischer, gedanklich häufig den Bruchteil einer Sekunde schneller als die HSV-Spieler und kauften dem Gegner mit ihrem hohen, aggressiven Pressing vor allem in der ersten halben Stunde den Schneid ab. Die Vierer-Abwehrkette, in der Neuzugang Sebastian Ohlsson und Startelf-Debütant Leo Östigard eine erstaunlich abgeklärte Vorstellung lieferten, postierte sich zumeist 25 bis 30 Meter vor dem eigenen Tor. Und vorne störte vor allem der unermüdliche Mats Möller Daehli die Gegner erfolgreich schon bei dem Versuch, das Spiel aufzubauen. St. Pauli, das konnte jeder sehen, war mit dem größeren Willen an den Start gegangen, dieses Spiel für sich zu entscheiden. Das 1:0 kann als Beleg dafür gelten: Wie Marvin Knoll sich in die Flanke von Möller Daehli und den Ball per Kopf an den Pfosten wuchtete und Dimitrios Diamantakos entschlossener als der spätere Eigentorschütze Rick van Drongelen reagierte und in den Abpraller hechtete.
Hinterseer entscheidet das Spiel
Der HSV meldete sich eigentlich erst im Spiel an, als die Rollen längst verteilt waren. Gleichwohl hätte es zur Pause auch 1:1 stehen können, wenn der weit von der Szene entfernte Schiedsrichter-Assistent beim Treffer von Lukas Hinterseer den Flankenball von Bakery Jatta nicht hinter der Grundlinie gesehen hätte. Selbst St.-Pauli-Profi Knoll räumte ein: "Ich bin ein ehrlicher Mensch. Ich glaube nicht, dass er mit vollem Umfang im Aus war." Hecking regte sich später zwar darüber auf, dass „auf der wichtigsten Linie keine Kamera ist", doch für spielentscheidend hielt er die Szene nicht. Spielentscheidend war Hinterseer in der zweiten Hälfte selbst. Dass er mit seinem Lupfer am gut aufgelegten St. Pauli-Torwart Robin Himmelmann scheiterte (56.) - geschenkt. Wie er es aber vier Minuten später schaffte, freistehend sieben Meter vor dem Tor einen Pass von David Kinsombi sich selbst ans Standbein und damit über das Tor zu bugsieren - das wird er seinen Mitspielern sicherlich noch einmal genauer erklären müssen.
Hecking: "Dinge nicht zu kritisch sehen"
St. Pauli könnte mit dem Sieg im Derby, in dem es insgesamt so ruhig blieb, wie schon lange nicht mehr, vorerst in ruhigere Gewässer schippern - jedenfalls dann, wenn sich die Kiezkicker nicht allzu lange in ihrem Erfolg sonnen. Trainer Jos Luhukay sprach vom bisher schönsten Fußballabend, den er am Millerntor erlebt hat. Er lobte die Leidenschaft, mit der sich seine Elf in die Aufgabe gestürzt hatte, das nach seinen Worten "beste Team der Liga" zu bezwingen und - anders als beim 3:3 in Dresden - einen Vorsprung auch mal über die Zeit zu bringen. Am Sonntag wartet mit dem starken Aufsteiger VfL Osnabrück an der Bremer Brücke bereits der nächste Prüfstein. HSV-Coach Hecking will vor allem die Ruhe bewahren: "Wir dürfen die Dinge jetzt auch nicht zu kritisch sehen", sagte er. "Der beste Weg, die Niederlage zu verarbeiten, ist, gegen Aue am Sonntag ein gutes Spiel zu machen und drei Punkte einzufahren."
Ein Denkzettel zur rechten Zeit?
St. Pauli mag nicht die Mannschaft sein, die der HSV schlagen muss, wenn es am Ende um den Aufstieg geht. Aber der "kleine" Nachbar hat dem großen Favoriten mit seinem couragierten Auftritt einen ordentlichen Nasenstüber verpasst. Wenn der HSV die richtigen Lehren daraus zieht, war es ein Denkzettel zur rechten Zeit. Leidenschaft könnte zu einer entscheidenden Zutat im Aufstiegs-Mix werden.
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