Fragen, die wir Greta Thunberg gern gestellt hätten
Eine emotionale Greta Thunberg redet Politikern beim UN-Klimagipfel ins Gewissen und wirft ihnen vor, vor allem nach technischen Lösungen zu suchen. „Business as usual“ dürfe es nicht geben – aber was meint sie damit?Anzeige
Greta Thunbergs Auftritt vor der Weltklimakonferenz in New York war kurz (er dauerte nur wenige Minuten) und höchst emotional. Sein Refrain lautete: „Wie könnt Ihr es wagen!“ Die Botschaft richtete sich an die Staatsmänner und -frauen, die vor ihr saßen. Die Stimme der 16-jährigen Schwedin zitterte, und sie musste Tränen niederkämpfen.
„Eigentlich sollte ich in die Schule gehen, stattdessen sitze ich hier vor euch“, sagte Thunberg. Und: „Wie könnt ihr es wagen, eure Verantwortung an die junge Generation zu delegieren!“ Dies konnte als Retourkutsche an die Adresse des UN-Generalsekretärs Antonio Guterres verstanden werden.
Er war am vergangenen Freitag vor dem UN-Jugendklimagipfel aufgetreten und hatte erklärt, er sei vor allem gekommen, um den jungen Leuten zuzuhören. Noch vor einigen Monaten habe er sich angesichts des Klimawandels und der Untätigkeit der Politiker entmutigt gefühlt. „Und plötzlich habe ich gespürt, dass da ein neuer Impuls war, der zunahm. Und der kam zu einem großen Teil von der Jugendbewegung.“
Einige Leute hätten ihn gewarnt, bei der Unterstützung der jungen Leute vorsichtig zu sein. „Ich bin aber überhaupt nicht vorsichtig, ich ermutige euch, weiterzumachen.“ Dies war nun also Thunbergs gepfefferte Antwort an Guterres: Wie können Sie es wagen!
Wenn die heutigen Ziele zur CO2-Reduzierung erreicht würden, die sich die Regierungen gesteckt hätten, so Thunberg weiter, habe die Welt eine 50-prozentige Chance zu überleben. „Aber 50 Prozent sind uns nicht genug. Wie könnt Ihr wagen zu behaupten, dieses Problem könne mit technischen Lösungen und business as usual gelöst werden. Die Augen aller zukünftigen Generationen sind auf euch gerichtet, und wenn Ihr versagt, werden wir Euch nie vergeben.“
Man versteht nach diesem Auftritt, wie Thunberg zu einer Ikone werden konnte. Sie verkörpert zwei Dinge, die eigentlich nicht zusammengehen: einerseits die Unschuld eines Kindes, andererseits bebende Wut.
Vielleicht haben manche Journalisten sie deshalb mit Jeanne d’Arc verglichen, die bekanntlich keine Pazifistin, sondern eine fanatische Kriegerin war. Man kann nach diesem Auftritt darum auch verstehen, warum manche Leute diese junge Schwedin für eine etwas bedenkliche Ikone halten.
Dabei ist es wohl kaum zu bestreiten, dass wir uns in einer ökologischen Krise von erschreckenden Ausmaßen befinden. Eine der Schlagzeilen vom vergangenen Freitag in der „New York Times“ lautete: „Vögel verschwinden aus Nordamerika“. Darunter stand, dass die Zahl der Vögel in den Vereinigten Staaten und Kanada sich seit 1970 um 29 Prozent – oder 2,9 Milliarden – verringert habe.
Hört Greta auf die Wissenschaft?
Der Klimawandel ist real, und der brasilianische Regenwald steht in Flammen. Als Thunberg aus dem Schiff mit den schwarzen Segeln stieg, das sie über den Atlantik nach New York getragen hatte, sagte sie auf die Frage, welche Botschaft sie für den US-Präsidenten Donald Trump habe: „Ich würde ihm sagen, er soll auf die Wissenschaft hören.“ Kein Zweifel, dies wäre unbedingt zu wünschen. Aber hört auch Greta Thunberg auf die Wissenschaft?
Vor einer Ikone fällt man auf die Knie; Greta Thunberg hat es verdient, dass man sie ernst nimmt. Nehmen ihre zahlreichen Anhänger sie ernst? Was meint sie etwa mit dem Satz, das Problem des Klimawandels könne nicht mittels technologischer Lösungen angegangen werden?
Kurz vor Thunberg hatte ein Inder gesprochen, der zu einer Gruppe junger Erfinder gehört, die dem Klimawandel mit Innovationen begegnen will und dafür die finanzielle Unterstützung der Politiker fordert.
Hatte der junge Mann Unrecht? Was soll denn sonst vor dem Klimakollaps bewahren, wenn nicht technische Lösungen? In einem Facebook-Eintrag war Thunberg vor einer Zeit sogar bereit, mit Tabus der grünen Bewegung zu brechen.
Dort schrieb sie: „Ich persönlich bin gegen Atomenergie, aber gemäß dem International Panel on Climate Change kann sie ein kleiner Teil einer großen neuen kohlenstofffreien Lösung sein..., auch wenn sie extrem gefährlich, teuer und zeitaufwändig ist.“ Meint sie das immer noch?
Und was ist mit „business as usual“ gemeint? Die liberale Demokratie? Der Kapitalismus? „Uns kann niemand stoppen“, sagte die 16-Jährige in einer trotzigen Rede am vergangenen Freitag. „Gestern sind junge Menschen rund um den Globus marschiert und haben wirkliche Maßnahmen verlangt.“
In Thunbergs Heimatland Schweden ist es binnen 20 Jahren gelungen, den Ausstoß von CO2 um die Hälfte zu reduzieren. Pro Kopf war die Reduktion sogar noch dramatischer: um 60 Prozent. Im selben Zeitraum, in dem das Land seinen Kohlendioxid-Ausstoß gesenkt hat, ist das Bruttosozialprodukt um 50 Prozent gestiegen, und die Stromerzeugung hat sich mehr als verdoppelt.
Ist das keine wirkliche Maßnahme? Frankreich erzeugt 71,6 Prozent seines Stroms mittels Atomenergie und bläst nur halb so viel CO2 in die Luft wie Deutschland. Ist das nicht bemerkenswert?
Und wen meint Greta Thunberg, wenn sie „die Politiker“ sagt? Wladimir Putin? Jair Bolsonaro? Angela Merkel? Gibt es da nicht Unterschiede? So viele Themen, über die man sich mit der jungen Schwedin gern unterhalten hätte. Leider war ihre aufwühlende Ansprache sehr schnell vorbei. Und hinterher gab es keine Fragen, nur donnernden Applaus.
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