Proteststurm gegen Boris Johnson
- Prominente Konservative legen ihre Ämter nieder und warnen Premier Johnson vor einem No-Deal-Brexit.
- Vor mehreren Gerichten laufen Verfahren über Klagen gegen die Absicht der Regierung, das Parlament in eine Zwangspause zu schicken.
- Regierungsvertreter verteidigen die Entscheidung, ein Minister nennt die Proteste "scheinheilig".
Auch einen Tag nach der Ankündigung der britischen Regierung, das Parlament für fünf Wochen zu schließen und erst am 14. Oktober mit einer Regierungserklärung zu eröffnen, schlagen die Wellen hoch. Der Proteststurm gegen die Entscheidung von Premier Boris Johnson, die "Prorogation" (Vertagung) des Unterhauses bei der Queen zu beantragen, ist dabei eher noch lauter geworden. Drohungen, Rücktritte, Klagen und Widerstandsmaßnahmen wurden angekündigt, während die Regierung die Entscheidung verteidigt.
Am Donnerstagmorgen hatte etwa der für das Parlament zuständige Minister, der Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg, in der BBC die ungewöhnlich lange Aussetzung der Parlamentsarbeit, die mit der Vorbereitung einer neuen politischen Agenda begründet worden war, als "verfassungsgemäß und angemessen" bezeichnet. Er nannte die Erregung darüber "scheinheilig"; sie komme vor allem von "Leuten, welche die EU sowieso nie verlassen wollten". Allerdings hatte Rees-Mogg selbst zweimal gegen den von Ex-Premierministerin Theresa May ausgehandelten Austrittsvertrag gestimmt, während viele Kritiker, die eine Zwangspause für das Parlament als Anschlag auf die Demokratie bezeichnen, für den Deal votiert hatten.
Mehr als eine Million Bürger haben eine Online-Petition unterschrieben
Die Zeitung The Times berichtete aus einer Telefonkonferenz des Kabinetts vom Mittwoch, in der Johnson die überraschten Minister von seinem Plan informierte. Er habe diesen, laut Zeugen, auch damit begründet, dass er gegenüber der EU mehr Glaubwürdigkeit mit seiner Verhandlungsposition - einem Austritt auch im Falle von No Deal - habe, wenn das Unterhaus nicht dazwischenfunken könne.
Derweil haben die Vorsitzende der schottischen Tories, Ruth Davidson, die einen harten Brexit immer vehement abgelehnt hatte, und ein einflussreiches Mitglied des Oberhauses, Lord George Young, ihre Rücktritte erklärt. Davidson sagte, sie gebe ihr Amt aus persönlichen Gründen ab, mahnte Johnson aber zugleich, sein Versprechen zu halten und einen Deal mit Brüssel auszuhandeln. Lord Young, eine Art Fraktionsgeschäftsführer der Konservativen im House of Lords, begründete seinen Rücktritt damit, er sei "zutiefst unglücklich" über die Entmachtung des Parlaments. Eine parteiübergreifende Gruppe von Unterhaus-Abgeordneten berät unterdessen, wie die Schließung des Parlaments aufgehoben und die Regierung per Gesetz davon abgehalten werden kann, No Deal am 31. Oktober zu riskieren. Neben einer Klage von Abgeordneten vor einem schottischen Gericht und der Klage der Geschäftsfrau Gina Miller, die schon 2017 mit einem Verfahren Erfolg gehabt hatte, das dem Parlament mehr Rechte im Brexit-Prozess verschaffte, hat nun auch ein nordirischer Aktivist gegen die Prorogation geklagt. Er sieht damit das Karfreitagsabkommen gefährdet.
Eine Online-Petition gegen das Vorgehen von Downing Street weist weit mehr als eine Million Unterschriften auf. Das Unterhaus tritt am 3. September zusammen. Dann bleiben den Abgeordneten nur wenige Tage, um ein Gesetz gegen No Deal einzubringen. Aus der Downing Street ist zu hören, man werde alles tun, um das zu verhindern.
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