Eine Siegerin, viele Verlierer
Ursula von der Leyen soll die EU-Kommission führen - als erste Frau und erste Deutsche seit 52 Jahren. Kanzlerin Merkel geht dennoch nicht als strahlende Siegerin aus dem Gipfel-Drama hervor.
Sieger sehenanders aus. Eben erst wurde Ursula von der Leyen zur neuen EU-Kommissionspräsidentin nominiert, eine Parteifreundin und alte Weggefährtin Angela Merkels. Doch als die Kanzlerin nach dem EU-Gipfel in Brüssel vor die Presse tritt, wirkt sie, als hätte sie noch eine Rechnung offen.
Die sensationelle Wende in Richtung von der Leyen erwähnt die Kanzlerin drei Minuten lang mit keinem Wort. Stattdessen dankt sie erst einmal Manfred Weberund Frans Timmermans, die als Spitzenkandidaten von Christ- und Sozialdemokraten in den Wahlkampf gezogen sind und sich nun mit Jobs in der zweiten Reihe begnügen müssen: Weber soll zweieinhalb Jahre lang EU-Parlamentspräsident werden, Timmermans Vizepräsident der EU-Kommission bleiben.
Alles habe sie getan, um eine faire Lösung für die beiden zu finden, sagt Merkel. "Das ist nicht gelungen." Ein Grund: CSU-Mann Weber sei "von Anfang an als nicht geeignet und nicht wählbar dargestellt worden". "Das darf nie wieder passieren", sagt die Kanzlerin - eine kaum verhüllte Ansage an Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der Weber auch persönlich heftig attackiert hat.
Merkels Brüssel-Rede im Video: "Habe mich nicht dagegen gewehrt"
Anschließend referiert Merkel ausdruckslos, dass von der Leyen zur Kommissionspräsidentin nominiert wurde - "einstimmig, mit einer Enthaltung". Die kam ausgerechnet aus Deutschland, dem Land, das zuletzt vor 52 Jahren die Kommission führen durfte und nun die erste Frau in diese Position entsenden kann. Doch
die SPD wollte dem nicht zustimmen. Nach den Regeln des Berliner Koalitionsvertrags heißt das: Enthaltung in Brüssel.
Immerhin: Es hätte schlimmer kommen können für Merkel.
Mit der spektakulären Wende zu von der Leyen endet für sie ein Gipfel, bei dem sie lange Zeit knapp vor einer herben Niederlage stand. Am Sonntag kam die Kanzlerin in Brüssel mit dem Plan an, den Sozialdemokraten Timmermans zum Kommissionschef und Weber, den Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei, zum Parlamentspräsidenten zu machen. So wollte sie das Spitzenkandidaten-Prinzip retten, obwohl Wahlgewinner Weber im Rat nicht vermittelbar war.
Macron bringt von der Leyen ins Spiel, Orbán rächt sich an Weber
Dass daraus nichts werden konnte, wurde Merkel wohl schon klar, als ihr beim Vortreffen ihrer Parteienfamilie der geballte Widerstand der EVP-Regierungschefs entgegenprallte. Vielen in der EVP war zwar das Schicksal Webers egal, doch auf den Posten des Kommissionschefs wollten sie nicht verzichten - oder wenigstens einen soliden Ersatz haben, wie das Amt des Präsidenten des Europäischen Rats.
Nach 15 Stunden Gipfel- und Beichtstuhlgesprächen unterbrach Ratspräsident Donald Tusk dann in der Nacht zum Montag den Gipfel. Die EVP hätte bei der Sache mit Timmermans womöglich noch mitgespielt. Aber die vier Viségrad-Länder Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei blieben hart, unterstützt von Italien.
Schon am ersten Gipfeltag schwirrte ein ganz anderer Name über die Flure des Ratsgebäudes: Ursula von der Leyen. Die Bundesverteidigungsministerin war als EU-Chefdiplomatin im Gespräch, die Erfolgsaussichten waren aber gering, auch deshalb, weil die EVP ein gewichtigeres Amt wollte.
Macron war bereit, es ihr zu geben. Der Name von der Leyen fiel in Paris zuletzt immer mal wieder, um zu demonstrieren, dass der französische Präsident nichts gegen Deutsche an sich hat, wenn er Weber ablehnt. Von der Leyen, das gibt Merkel nach dem Gipfel zu erkennen, war nicht ihre Idee. "Ich habe mich nicht dagegen gewehrt, dass jetzt ein deutscher Vorschlag auf dem Tisch kam", sagt sie. "Ich finde es ein schönes Zeichen, dass von der Leyen viel Vertrauen genießt bei den Staats- und Regierungschefs."
Auch Macron freute sich nach Ende des Gipfels: "Sie hat Erfahrung", sagt er und rühmt "ihren Mut und Durchsetzungskraft bei schwierigen Themen". Er lobt von der Leyens Engagement für die deutsch-französische Freundschaft und "ihre europäische DNA".
Kein Wunder also, dass Merkel und Macron sich in der Nacht zum Dienstag schnell einig waren. Auch Italiens Regierungschef Giuseppe Conte, der am Vortag jede Lösung um Timmermans mitblockiert hatte, erklärte schon früh, dass er sich eine Frau an der Spitze der Kommission vorstellen könnte. Blieb noch, die Osteuropäer zu gewinnen.
Das erledigte offenbar Viktor Orbán, Ungarns Ministerpräsident. Er brachte die Stimmen der vier Viségrad-Staaten bei, die jede Lösung um Timmermans am Tag zuvor abgelehnt hatten. Orban erreicht so zweierlei: Er rächt sich an Manfred Weber, der sich im Wahlkampf deutlich von ihm distanziert hatte, und zeigt trotzdem, dass er bereit ist, eine konstruktive Rolle in der EU zu spielen.
Auch der Rest des Personalpakets war dann schnell verabschiedet: Die Französin Christine Lagarde, bisher Chefin des Internationalen Währungsfonds, soll die Europäische Zentralbank führen, Spaniens Außenminister Josep Borrell EU-Außenbeauftragter werden. Zum Präsident des Europäischen Rats wurde Belgiens Regierungschef Charles Michel gewählt.
Lehnt das EU-Parlament von der Leyen ab?
Ob von der Leyen aber Kommissionspräsidentin wird, ist noch nicht sicher - denn das Europaparlament muss sie noch bestätigen. Und dort ist der Ärger groß. Das liegt zum einen an der Sorge um das Spitzenkandidaten-Modell. Für die große Mehrheit im Parlament ist das 2014 eingeführte Konzept, dass ein Kommissionspräsident als Spitzenkandidat vor den Wähler tritt und nicht mehr von den Staats- und Regierungschefs ausgekungelt wird, ein wichtiger Schritt in der Demokratisierung der EU.
Dass das Konzept nun schon wieder begraben werden könnte, und dann auch noch von den Populisten-Regierungen in Italien und Osteuropa, könnte für viele Abgeordnete eine Zumutung zu viel sein. Zudem haben führende Vertreter des Parlaments immer wieder getönt, dass man nur einen Spitzenkandidaten zum Kommissionspräsidenten wählen werde. Jetzt wird sich herausstellen, wie ernst das gemeint war - und womöglich auch, wie ernst man das Europaparlament in Zukunft noch nehmen kann.
In der christdemokratischen EVP-Fraktion etwa war der Frust nach der Nominierung von der Leyens groß. "Man ringt hier noch um Fassung", hieß es aus der EVP-Fraktion. Viele Abgeordnete hätten ein enormes Problem damit, dass sie monatelang für ihren Spitzenkandidaten Manfred Weber getrommelt haben und ihren Wählern jetzt erklären sollen, warum der Wahlsieger nicht Kommissionschef wird.
"Es gibt nach wie vor den Spitzenkandidaten Frans Timmermans"
Wenigstens kann man sich bei der EVP noch damit trösten, dass mit von der Leyen eine äußerst Brüssel-affine CDU-Politikerin nominiert wurde. Bei den Sozialdemokraten sieht das völlig anders aus.
Am Sonntag sahen sie sich bereits als große Gewinner des Brüsseler Postenpokers, und noch am Dienstagmorgen schien Frans Timmermans gute Chance auf den Chefsessel der Kommission zu haben. Umso wütender sind die Sozialdemokraten jetzt. "Es ist unakzeptabel, dass populistische Regierungen im Rat den besten Kandidaten verhindern, nur weil er den Rechtsstaat und unsere europäischen Werte verteidigt hat", schimpft Iratxe Garcia, Fraktionschefin der Sozialdemokraten im EU-Parlament. Man wolle das Spitzenkandidaten-System "nicht sterben lassen".
Bei den deutschen Sozialdemokraten glaubt man sogar noch, dass Timmermans weiterhin im Rennen ist. Von der Leyen sei "als Kommissionspräsidentin völlig unakzeptabel", sagt der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann, ihre Bestätigung "alles andere als ein Selbstläufer". "Es gibt nach wie vor den Spitzenkandidaten Frans Timmermans", so Bullmann.
Man müsse jetzt eben mit den Fraktionen im Europaparlament reden, sagt Kanzlerin Merkel. Zur Wahl von der Leyens wird es dort wohl frühestens bei der übernächsten Sitzung Mitte Juli kommen. Bis dahin, so heißt es selbst aus der EVP-Fraktion, sollte von der Leyen sich besser nicht in Straßburg blicken lassen. "Würde sie sich morgen zur Wahl stellen", so ein Insider, "hätte sie nicht den Hauch einer Chance."
Alles habe sie getan, um eine faire Lösung für die beiden zu finden, sagt Merkel. "Das ist nicht gelungen." Ein Grund: CSU-Mann Weber sei "von Anfang an als nicht geeignet und nicht wählbar dargestellt worden". "Das darf nie wieder passieren", sagt die Kanzlerin - eine kaum verhüllte Ansage an Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der Weber auch persönlich heftig attackiert hat.
Merkels Brüssel-Rede im Video: "Habe mich nicht dagegen gewehrt"
Mit der spektakulären Wende zu von der Leyen endet für sie ein Gipfel, bei dem sie lange Zeit knapp vor einer herben Niederlage stand. Am Sonntag kam die Kanzlerin in Brüssel mit dem Plan an, den Sozialdemokraten Timmermans zum Kommissionschef und Weber, den Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei, zum Parlamentspräsidenten zu machen. So wollte sie das Spitzenkandidaten-Prinzip retten, obwohl Wahlgewinner Weber im Rat nicht vermittelbar war.
Macron bringt von der Leyen ins Spiel, Orbán rächt sich an Weber
Dass daraus nichts werden konnte, wurde Merkel wohl schon klar, als ihr beim Vortreffen ihrer Parteienfamilie der geballte Widerstand der EVP-Regierungschefs entgegenprallte. Vielen in der EVP war zwar das Schicksal Webers egal, doch auf den Posten des Kommissionschefs wollten sie nicht verzichten - oder wenigstens einen soliden Ersatz haben, wie das Amt des Präsidenten des Europäischen Rats.
Schon am ersten Gipfeltag schwirrte ein ganz anderer Name über die Flure des Ratsgebäudes: Ursula von der Leyen. Die Bundesverteidigungsministerin war als EU-Chefdiplomatin im Gespräch, die Erfolgsaussichten waren aber gering, auch deshalb, weil die EVP ein gewichtigeres Amt wollte.
Macron war bereit, es ihr zu geben. Der Name von der Leyen fiel in Paris zuletzt immer mal wieder, um zu demonstrieren, dass der französische Präsident nichts gegen Deutsche an sich hat, wenn er Weber ablehnt. Von der Leyen, das gibt Merkel nach dem Gipfel zu erkennen, war nicht ihre Idee. "Ich habe mich nicht dagegen gewehrt, dass jetzt ein deutscher Vorschlag auf dem Tisch kam", sagt sie. "Ich finde es ein schönes Zeichen, dass von der Leyen viel Vertrauen genießt bei den Staats- und Regierungschefs."
Auch Macron freute sich nach Ende des Gipfels: "Sie hat Erfahrung", sagt er und rühmt "ihren Mut und Durchsetzungskraft bei schwierigen Themen". Er lobt von der Leyens Engagement für die deutsch-französische Freundschaft und "ihre europäische DNA".
Kein Wunder also, dass Merkel und Macron sich in der Nacht zum Dienstag schnell einig waren. Auch Italiens Regierungschef Giuseppe Conte, der am Vortag jede Lösung um Timmermans mitblockiert hatte, erklärte schon früh, dass er sich eine Frau an der Spitze der Kommission vorstellen könnte. Blieb noch, die Osteuropäer zu gewinnen.
Das erledigte offenbar Viktor Orbán, Ungarns Ministerpräsident. Er brachte die Stimmen der vier Viségrad-Staaten bei, die jede Lösung um Timmermans am Tag zuvor abgelehnt hatten. Orban erreicht so zweierlei: Er rächt sich an Manfred Weber, der sich im Wahlkampf deutlich von ihm distanziert hatte, und zeigt trotzdem, dass er bereit ist, eine konstruktive Rolle in der EU zu spielen.
Auch der Rest des Personalpakets war dann schnell verabschiedet: Die Französin Christine Lagarde, bisher Chefin des Internationalen Währungsfonds, soll die Europäische Zentralbank führen, Spaniens Außenminister Josep Borrell EU-Außenbeauftragter werden. Zum Präsident des Europäischen Rats wurde Belgiens Regierungschef Charles Michel gewählt.
Lehnt das EU-Parlament von der Leyen ab?
Ob von der Leyen aber Kommissionspräsidentin wird, ist noch nicht sicher - denn das Europaparlament muss sie noch bestätigen. Und dort ist der Ärger groß. Das liegt zum einen an der Sorge um das Spitzenkandidaten-Modell. Für die große Mehrheit im Parlament ist das 2014 eingeführte Konzept, dass ein Kommissionspräsident als Spitzenkandidat vor den Wähler tritt und nicht mehr von den Staats- und Regierungschefs ausgekungelt wird, ein wichtiger Schritt in der Demokratisierung der EU.
Dass das Konzept nun schon wieder begraben werden könnte, und dann auch noch von den Populisten-Regierungen in Italien und Osteuropa, könnte für viele Abgeordnete eine Zumutung zu viel sein. Zudem haben führende Vertreter des Parlaments immer wieder getönt, dass man nur einen Spitzenkandidaten zum Kommissionspräsidenten wählen werde. Jetzt wird sich herausstellen, wie ernst das gemeint war - und womöglich auch, wie ernst man das Europaparlament in Zukunft noch nehmen kann.
In der christdemokratischen EVP-Fraktion etwa war der Frust nach der Nominierung von der Leyens groß. "Man ringt hier noch um Fassung", hieß es aus der EVP-Fraktion. Viele Abgeordnete hätten ein enormes Problem damit, dass sie monatelang für ihren Spitzenkandidaten Manfred Weber getrommelt haben und ihren Wählern jetzt erklären sollen, warum der Wahlsieger nicht Kommissionschef wird.
"Es gibt nach wie vor den Spitzenkandidaten Frans Timmermans"
Wenigstens kann man sich bei der EVP noch damit trösten, dass mit von der Leyen eine äußerst Brüssel-affine CDU-Politikerin nominiert wurde. Bei den Sozialdemokraten sieht das völlig anders aus.
Am Sonntag sahen sie sich bereits als große Gewinner des Brüsseler Postenpokers, und noch am Dienstagmorgen schien Frans Timmermans gute Chance auf den Chefsessel der Kommission zu haben. Umso wütender sind die Sozialdemokraten jetzt. "Es ist unakzeptabel, dass populistische Regierungen im Rat den besten Kandidaten verhindern, nur weil er den Rechtsstaat und unsere europäischen Werte verteidigt hat", schimpft Iratxe Garcia, Fraktionschefin der Sozialdemokraten im EU-Parlament. Man wolle das Spitzenkandidaten-System "nicht sterben lassen".
Man müsse jetzt eben mit den Fraktionen im Europaparlament reden, sagt Kanzlerin Merkel. Zur Wahl von der Leyens wird es dort wohl frühestens bei der übernächsten Sitzung Mitte Juli kommen. Bis dahin, so heißt es selbst aus der EVP-Fraktion, sollte von der Leyen sich besser nicht in Straßburg blicken lassen. "Würde sie sich morgen zur Wahl stellen", so ein Insider, "hätte sie nicht den Hauch einer Chance."
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