„Sea-Watch 3“-Kapitänin festgenommen – Böhmermann kündigt Hilfe an
Das Rettungsschiff der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch hat im Hafen der italienischen Insel Lampedusa angelegt.
- Die Kapitänin Carola Rackete wurde festgenommen.
- Das Boot war Mitte der Woche in italienische Hoheitsgewässer eingedrungen. An Bord waren 40 Migranten.
Das Rettungsschiff der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch hat mit 40 Migranten an Bord im Hafen der italienischen Insel Lampedusa angelegt. Nach dem Festmachen sei die deutsche Kapitänin Carola Rackete festgenommen worden, sagte Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer in der Nacht zum Samstag der Nachrichtenagentur AFP. Zunächst war unklar, ob und wann die Migranten von Bord gehen könnten. Inzwischen haben sie laut dpa das Rettungsschiff verlassen. Die „Sea-Watch 3“ wurde beschlagnahmt.
Zuvor habe die Hafenpolizei informiert, dass das Schiff in den Hafen fahren werde. Die Polizei sei nun vor Ort. Neben den Migranten sind 22 Besatzungsmitglieder und mehrere italienische Abgeordnete auf dem Schiff. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter lud die Organisation ein Video hoch, das Rackete kurz vor dem Einlaufen nach Lampedusa zeigt. Darin begründet die Kapitänin ihr Handeln. Es zeichne sich keine Lösung ab, deswegen habe man sich für diesen Schritt entschieden.
Rackete war Mitte der Woche trotz Verbots der italienischen Regierung in die Hoheitsgewässer des Landes gefahren. „Ich fahre in italienische Gewässer, und ich bringe sie (die Migranten) in Sicherheit auf Lampedusa“, hatte sie betont. Rackete gab an, sie wisse, was sie riskiere, und sei bereit, für ihre Entscheidungen ins Gefängnis zu gehen. Laut Sea-Watch-Sprecherin Giorgia Linardi haben sich vier Länder – Deutschland, Portugal, Frankreich und Luxemburg – bereit erklärt, Migranten von dem Schiff zu aufzunehmen.
Die Organisation twitterte am Samstagmorgen, man habe vor fast 60 Stunden den Notstand ausgerufen. „Niemand hörte uns zu. Niemand übernahm Verantwortung. Einmal mehr ist es an uns, … die 40 Geretteten in Sicherheit zu bringen.“ Sea-Watch-Geschäftsführer Johannes Bayer erklärte ebenfalls auf Twitter, die Kapitänin habe „genau das Richtige getan“. Rackete habe das Seerecht eingehalten und die Flüchtlinge in Sicherheit gebracht.
Am Freitag hatte die italienische Staatsanwaltschaft gegen Rackete Ermittlungen eingeleitet. Vorgeworfen werden ihr laut Linardi unter anderem Beihilfe zur illegalen Einwanderung und Verletzung des Seerechts. Der Nachrichtenagentur Ansa zufolge drohen der 31-jährigen Kapitänin drei bis zehn Jahre Haft, weil sie gegen ein Kriegsschiff Widerstand geleistet oder Gewalt angewendet habe. Die Staatsanwaltschaft Agrigent habe Hausarrest für sie angeordnet.
Zollboot soll Rettungsschiff vom Anlegen abgehalten haben
Die italienische Nachrichtenagentur Ansa berichtete, ein italienisches Zollboot habe versucht, das Rettungsschiff vom Anlegen abzuhalten, es hätte dann aber ausweichen müssen. Sea-Watch-Sprecher Neugebauer sagte, man habe die Hafenpolizei informiert, dass das Schiff in den Hafen der sizilianischen Insel fahren werde. „Die Menschen an Bord sind völlig erschöpft und verunsichert.“ Nun sei man erleichtert, den Hafen erreicht zu haben.
Am 12. Juni hatte die „Sea Watch 3“ vor der libyschen Küste 53 Menschen gerettet. 13 von ihnen wurden aus medizinischen Gründen bereits in den vergangenen Tagen nach Lampedusa gebracht. Seit gut zwei Wochen wartet die Organisation vergeblich auf eine Erlaubnis, in einen europäischen Hafen zu fahren.
Seit Jahren streiten die EU-Länder über einen Mechanismus zur Verteilung der Bootsflüchtlinge. Italiens rechtspopulistischer Innenminister Matteo Salvini verlangte nun konkrete „Garantien“ der aufnahmebereiten Länder, bevor die Menschen von Bord des Schiffes gehen dürften. Daneben sei die Regierung „entschlossen“, gegen jeden vorzugehen, der die Gesetze gebrochen habe.
„Mission erfüllt“, schrieb Innenminister Salvini nach Racketes Festnahme auf Twitter. „Verbrecherische Kapitänin festgenommen, Piratenschiff beschlagnahmt, Höchststrafe für die ausländische Nichtregierungsorganisation.“ Italiens Regierungschef Giuseppe Conte erklärte am Rande des G-20-Gipfels in Osaka, er wolle sich nicht an die Stelle der Justiz setzen, die für die Anwendung des Gesetzes zuständig sei. „Aber die Gesetze existieren, ob wir wollen oder nicht.“
Der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verurteilte die Festnahme der Kapitänin. Dies mache ihn „traurig und zornig“, erklärte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. „Eine junge Frau wird in einem europäischen Land verhaftet, weil sie Menschenleben gerettet hat und die geretteten Menschen sicher an Land bringen will. Eine Schande für Europa!“
Grünen-Chef Robert Habeck kritisiert ebenfalls Racketes Verhaftung. Sie zeige die „Ruchlosigkeit der italienischen Regierung“ und offenbare „das Dilemma der europäischen Flüchtlingspolitik“, wie Habeck dem Redaktionsnetzwerk Deutschland mitteilte. „Frau Rackete ,Unterstützung von Menschenhändlern‘ und Piraterie vorzuwerfen, wie es der italienische Innenminister Matteo Salvini getan hat, ist eine Sprachverdrehung Orwellschen Ausmaßes“, sagte der Grünen-Politiker, der für legale Fluchtwege plädiert und die Bundesregierung in der Pflicht sieht. Habeck zufolge sollte sie sich dafür einsetzen, „dass die Rettung von Ertrinkenden im staatlichen Auftrag oder staatlich organisiert geschieht.“
Außenminister Heiko Maas (SPD) appellierte per Twitter an die italienische Justiz, die Vorwürfe schnell zu klären. „Menschenleben zu retten ist eine humanitäre Verpflichtung. Seenotrettung darf nicht kriminalisiert werden“, erklärte der Minister.
Der Parteivorstand der Linken forderte die Bundesregierung auf, die Geretteten in Deutschland aufzunehmen. „Es darf keine Rückführungen nach Libyen geben“, erklärte die Partei.
Entertainer sichern Unterstützung zu
Unterstützung erhält Rackete auch von deutschen Prominenten. Bereits am Freitag kündigte der Satiriker Jan Böhmermann auf Twitter an, der „Sea-Watch 3“-Besatzung helfen zu wollen. „Für den Fall, dass die italienischen Behörden Carola Rackete, die Kapitänin der SeaWatch 3, strafrechtlich verfolgen, werden wir, wie im letzten Jahr, Geld für die anfallenden Rechtskosten und Ausgaben der Lebensretter sammeln und spenden“, so Böhmermann. Bereits 2018 sammelte der Entertainer gemeinsam mit seinem Kollegen Klaas Heufer-Umlauf innerhalb von zehn Tagen fast 200.000 Euro für den deutschen „Lifeline“-Kapitän Claus-Peter Reisch. Dieser stand auf Malta vor Gericht, nachdem die Behörden sein Rettungsschiff beschlagnahmt hatten. Auch dieses Mal beteiligt sich Heufer-Umlauf an der Spendenaktion.
Die Regierung in Rom fährt eine äußerst restriktive Flüchtlingspolitik und hat die italienischen Häfen für internationale Rettungsschiffe geschlossen. Seit 2014 sind mehr als 12.000 Menschen bei dem Versuch gestorben, von Libyen über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR spricht deshalb von „der tödlichsten Meeresüberquerung der Welt“.
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