Vom Herzensmenschen zum Hetzermenschen
Das "Sommerhaus der Stars" ist zu Ende, Mike und Elena haben 50.000 Euro gewonnen. Der wahre Gewinner war der Zuschauer: Fünf Gründe, warum das Pärchenterror-Format unschlagbar guten Trash-TV lieferte.
TVNOW
1. Die wertvolle Menschenkunde
Manchmal holt man ja in seiner Not den Schillermann raus, wenn man wieder mal seine zwar immer wieder geschundene, im Kern aber unzerstörbare Liebe zum Trash verteidigen muss. Man zimmert dann ein glibbrig-wackliges, sülzernes Konstrukt zusammen, wonach eine gute Folge Trashfernsehen mindestens so viel Erkenntnisgewinn bezüglich der menschlichen Ach- und Schwachheiten liefere wie eine Staffel der Schillerschen Schaubühne: Weil hier wie dort die Fehlbarkeiten und Leidenschaften so hübsch konsumierbar vor einem ausgebreitet werden, dass man daraus lernen kann, ohne sich mit echten Menschen behängen zu müssen (angenehm).
Für diese Staffel "Sommerhaus" gilt das aber tatsächlich: Man nahm wirklich etwas für sein Leben mit, wenn man den Figuren bei ihren loyalitätslosen Wankelmütigkeiten, kleinlichen Eifersüchteleien und plumpen Vercliquisierungen zuschaute - und sei es nur der feste Beschluss, sein restliches Leben irgendwo in völliger Einsamkeit mit einem Rudel Straßenhunde zu teilen, weil einem im "Sommerhaus" nun endlich die letzten Schrumpel-Illusionen über die Menschheit genommen wurden.
2. Die sensationelle Bereitschaft zum Drama
Wer das Bild für gnadenlos übertrieben hält, ein Schmetterlingsschlag könne einen Orkan entfachen, wird vom "Sommerhaus" eines besseren belehrt: Ein schwitzender Schinken genügte hier schon, um einen mittelschweren Eklat aufzureißen und die Pathos-Windmaschine anzuschmeißen. Unvergessen, wie Johannes und Willi in der vorletzten Folge in den kompletten Selbstzerlegungsmodus kippten und sich vermeintliche Freundschaft mit wenigen Sätzen in offene Feindschaft verwandelte - ein gleichzeitig schäbiges und ganz großes Schauspiel, als habe Primark nun auch eine Shakespeare-Gesamtausgabe im Programm. Und all das ausgelöst durch die vermeintliche Petitesse, dass Johannes seiner Freundin Yeliz nicht glauben wollte, dass sie in einem wichtigen Spiel gerade mit verbundenen Augen an einem Paar Plüschwürfel herumleckten.
Man kann sich nach dieser Staffel "Sommerhaus" nun vorstellen, wie Kriege entstehen. Und glaubt vielleicht doch der Theorie, der erste Weltkrieg sei in Wahrheit deshalb ausgebrochen, weil Wilhelm II. so beleidigt war, dass er in der Beerdigungsprozession von Eduard VII. erst weit hinter dem Hund des verstorbenen britischen Herrschers mitlaufen durfte.
3. Die unmittelbare Angefasstheit
Diese Staffel war oft unangenehm, weil sie die Distanz des Zuschauers aufhob. Die sexuellen Übergrifflichkeiten in der ersten Folge, die Wendlerschen Po-Provokationen, das alles regte einen auf und nahm einen mit, als sei man selbst betroffen und gaffte nicht bloß durch die Fensterscheibe, ganz anders etwa als die Konfliktchen beim gerade beendeten " Promi Big Brother", die einen bestenfalls nervten, aber niemals aufwühlten. ""Hört doch mal auf, falsch zu sein, seid doch mal richtig", wollte man da sehr oft mit Elenas Worten zetern. Die besondere, oft auch qualvolle Qualität des "Sommerhaus" bestand darin, dass ihre Bewohner sich streckenweise verhielten, als gäbe es keine Kameras, keine Zuschauer, als spielten sie ihre Rolle wirklich nur für die anderen im Haus.
Vor allem Willi, der doch hätte ahnen müssen, dass seine - wie von einem Kind mithilfe seiner Schlumpfsammlung entworfene - Intrigen-Aufstellung später, bei der Ausstrahlung, mit ein paar einfachen Schnitten sofort zu entlarven wäre. Dass er vor dem Zuschauer, der eben mehr weiß als die anderen Bewohner, eben nicht der selbstproklamierte Herzensmensch, sondern ein eher unerfreulicher Hetzermensch sein würde. Das waren Momente, fast wie in den ganz frühen Trashzeiten, als es bei den Protagonisten noch kein Wissen über das Dahinter und das Danach gab.
4. Der goldene Textkorpus
Es ist nicht möglich, den rhetorischen Grusel der direkt nach dem Finale ausgestrahlten Wiedersehenssendung in gekürzter Form wiederzugeben. Was da passiert ist, was gesprochen wurde, muss 1:1 und unredigiert erfasst und als Reclam-Heftchen veröffentlicht werden, es gibt keine andere Möglichkeit. Wie Sabrina aus dem Nichts versuchte, Benjamin als schwul zu outen. Wie Johannes der knallrot gefärbten Sabrina beschied, sie habe passenderweise "die Haare des Teufels" gewählt. Dann der notdürftig metaphorisch verbrämte Stangenhalte-Dialog zwischen Jasmin und Sabrina. Und wie Menowin in einem echten Ehrenmann-Move mittendrin aufstand und die Sendung verließ, weil er alles "übertrieben krass" fand: Das alles ist großer Bühnenstoff. Zusätzliche Erläuterungen und Materialien fanden sich in den Werbepausen der Sendungen stets bei Instagram, wo die Protagonisten in ihren Live-Stories ungesendete Szenen nacherzählten und zusätzliche Infos lieferten. Und beispielsweise den Verdacht nährten, der zwischenzeitliche Streit zwischen Willi und Sabrina sei nur gespielt und von den beiden vorab auf Mallorca choreografiert worden, um mehr Sendezeit für sich zu sichern.
5. Das Faszinosum Mike Heiter
Vielleicht ist es der Name, der ihn unverwundbar macht, weil er als selbsterfüllende Behauptung funktioniert. Womöglich müssten wir alle unsere Nachnamen nur in "Fidel", "Sonnig" oder "Munter" ändern, und schon würde auch der hochkonzentrierteste Galligkeitsschwall, der uns von anderen entgegengespuckt wird, einfach abperlen, als hätten wir uns gerade mit einem ganzen Tiegel der von Elena beworbenen Kokosschmiere gesalbt, als sei das Drachenblut "Was bist du für ein Scheiß-Wichser, Arschloch bist du, fahr zur Hölle", brüllt Elena Mike an. Worauf er zu ihr sagte: "Ich bin stolz auf dich, aber diese Beleidigungen müssen nicht sein." Mike Heiter war im Sommerhaus der, der immer lacht. Und einen rührte, als er plötzlich Adenauer kannte: "Irgendwie kam dieser Name mir in Kopf rein und ich hab ihn ausgesprochen. Ich kann das eigentlich gar nicht wissen."
Kongenial waren aber auch die Ausraster seiner schmerzensreichen Aggronette Elena, dieser allzeit dampfenden Meme-Fabrik, die mit "Wo ist die Fairness geblieben, WO?" eine der großen ikonischen Deklamationen der Weltgeschichte lieferte - gefolgt von "Wir dürfen weinen, wann wir wollen!" und ihrer Ansage an Sabrina: "Wenn Sie mit mir reden wollen, dann siezen sie mich ab jetzt, danke. Ich bin Frau Miras." Man sollte den beiden nun noch dringend erklären, dass "behindert" kein Schimpfwort ist. Und dann würde man dieses in ihrer Dynamik hochrätselhafte Yin-Yang-Duo gerne in weiteren Formaten sehen.
Manchmal holt man ja in seiner Not den Schillermann raus, wenn man wieder mal seine zwar immer wieder geschundene, im Kern aber unzerstörbare Liebe zum Trash verteidigen muss. Man zimmert dann ein glibbrig-wackliges, sülzernes Konstrukt zusammen, wonach eine gute Folge Trashfernsehen mindestens so viel Erkenntnisgewinn bezüglich der menschlichen Ach- und Schwachheiten liefere wie eine Staffel der Schillerschen Schaubühne: Weil hier wie dort die Fehlbarkeiten und Leidenschaften so hübsch konsumierbar vor einem ausgebreitet werden, dass man daraus lernen kann, ohne sich mit echten Menschen behängen zu müssen (angenehm).
2. Die sensationelle Bereitschaft zum Drama
Wer das Bild für gnadenlos übertrieben hält, ein Schmetterlingsschlag könne einen Orkan entfachen, wird vom "Sommerhaus" eines besseren belehrt: Ein schwitzender Schinken genügte hier schon, um einen mittelschweren Eklat aufzureißen und die Pathos-Windmaschine anzuschmeißen. Unvergessen, wie Johannes und Willi in der vorletzten Folge in den kompletten Selbstzerlegungsmodus kippten und sich vermeintliche Freundschaft mit wenigen Sätzen in offene Feindschaft verwandelte - ein gleichzeitig schäbiges und ganz großes Schauspiel, als habe Primark nun auch eine Shakespeare-Gesamtausgabe im Programm. Und all das ausgelöst durch die vermeintliche Petitesse, dass Johannes seiner Freundin Yeliz nicht glauben wollte, dass sie in einem wichtigen Spiel gerade mit verbundenen Augen an einem Paar Plüschwürfel herumleckten.
Man kann sich nach dieser Staffel "Sommerhaus" nun vorstellen, wie Kriege entstehen. Und glaubt vielleicht doch der Theorie, der erste Weltkrieg sei in Wahrheit deshalb ausgebrochen, weil Wilhelm II. so beleidigt war, dass er in der Beerdigungsprozession von Eduard VII. erst weit hinter dem Hund des verstorbenen britischen Herrschers mitlaufen durfte.
3. Die unmittelbare Angefasstheit
Vor allem Willi, der doch hätte ahnen müssen, dass seine - wie von einem Kind mithilfe seiner Schlumpfsammlung entworfene - Intrigen-Aufstellung später, bei der Ausstrahlung, mit ein paar einfachen Schnitten sofort zu entlarven wäre. Dass er vor dem Zuschauer, der eben mehr weiß als die anderen Bewohner, eben nicht der selbstproklamierte Herzensmensch, sondern ein eher unerfreulicher Hetzermensch sein würde. Das waren Momente, fast wie in den ganz frühen Trashzeiten, als es bei den Protagonisten noch kein Wissen über das Dahinter und das Danach gab.
4. Der goldene Textkorpus
Es ist nicht möglich, den rhetorischen Grusel der direkt nach dem Finale ausgestrahlten Wiedersehenssendung in gekürzter Form wiederzugeben. Was da passiert ist, was gesprochen wurde, muss 1:1 und unredigiert erfasst und als Reclam-Heftchen veröffentlicht werden, es gibt keine andere Möglichkeit. Wie Sabrina aus dem Nichts versuchte, Benjamin als schwul zu outen. Wie Johannes der knallrot gefärbten Sabrina beschied, sie habe passenderweise "die Haare des Teufels" gewählt. Dann der notdürftig metaphorisch verbrämte Stangenhalte-Dialog zwischen Jasmin und Sabrina. Und wie Menowin in einem echten Ehrenmann-Move mittendrin aufstand und die Sendung verließ, weil er alles "übertrieben krass" fand: Das alles ist großer Bühnenstoff. Zusätzliche Erläuterungen und Materialien fanden sich in den Werbepausen der Sendungen stets bei Instagram, wo die Protagonisten in ihren Live-Stories ungesendete Szenen nacherzählten und zusätzliche Infos lieferten. Und beispielsweise den Verdacht nährten, der zwischenzeitliche Streit zwischen Willi und Sabrina sei nur gespielt und von den beiden vorab auf Mallorca choreografiert worden, um mehr Sendezeit für sich zu sichern.
5. Das Faszinosum Mike Heiter
Kongenial waren aber auch die Ausraster seiner schmerzensreichen Aggronette Elena, dieser allzeit dampfenden Meme-Fabrik, die mit "Wo ist die Fairness geblieben, WO?" eine der großen ikonischen Deklamationen der Weltgeschichte lieferte - gefolgt von "Wir dürfen weinen, wann wir wollen!" und ihrer Ansage an Sabrina: "Wenn Sie mit mir reden wollen, dann siezen sie mich ab jetzt, danke. Ich bin Frau Miras." Man sollte den beiden nun noch dringend erklären, dass "behindert" kein Schimpfwort ist. Und dann würde man dieses in ihrer Dynamik hochrätselhafte Yin-Yang-Duo gerne in weiteren Formaten sehen.
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